Hersteller:
| Trecision
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Vertrieb:
| Team 17
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Steuerung:
| Maus
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Systemanforderungen:
| Win 95/98/2000/XP / Pentium 100 MHz / 16 MB RAM / ca. 30 MB Festplatte
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USK:
| Freigegeben ab 12 Jahren
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Kompatibilität:
| VMWare
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Deutsch:
| Komplett
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Der italienische Entwickler ‚Trecision‘ galt in den 1990er Jahren als recht aktiv und versuchte sich gleich in verschiedenen Genres, schafften jedoch niemals den großen Durchbruch. Lediglich mit dem Abenteuerspiel ‚Nightlong: Union City Conspiracy‘, welches in Zusammenarbeit mit dem britischen Kult-Studio ‚Team 17‘ entstand, schafften sie dann doch noch ein Werk, welches zumindest nicht vollkommen in Vergessenheit geriet. Warum der Titel also die Spreu dieses virtuellen Weizens zu sein scheint, schauen wir uns mit diesem Klassiker-Review mal genauer an.
Die Welt im Jahre 2099. Joshua Reev lebt in der riesigen Metropole Union City und geht dort einer Beschäftigung als Privatdetektiv nach. Normalerweise zählen keine Prominenten zu seinem Klientel, weshalb er sich mit dem Aufklären typischer Klein-Delikte finanziell über Wasser hält. Dies ändert sich jedoch abrupt, als plötzlich der Gouverneur von Union City Hugh Martens höchstselbst auf ihn zukommt. Der ist für Reev indes kein Unbekannter. Denn Jahre vor seinem Bürgeramt dienten beide im Militär. Zu jener Zeit rettete Martens dem jetzigen Privatdetektiv das Leben, weshalb der schon lange einen Weg sucht, sich dafür endlich zu revangieren. Mit einem Auftrag soll diese Schuld nun endlich beglichen werden. Allerdings ist der recht heikel. Der Gouverneur scheint nämlich das Hauptziel einer terroristischen Vereinigung zu sein, die seit Monaten Anschläge überall in der Stadt verübt. Und nun ist auch noch der Kontakt zu einem erfolgreich in die Organisation eingeschleusten Maulwurf verstummt, bevor der wichtige Informationen zu den Beweggründen der Terroristen übermitteln konnte. Reev soll nun dort weitermachen, wo sich die Spuren seines Vorgängers im Sande verlaufen und sich letztlich ebenfalls erfolgreich unter die Terroristen mischen. Doch wie es die Vermutung nahelegt, offenbart sich im Verlaufe der Handlung, dass die Grenzen zwischen Gut und Böse dann doch nicht so offensichtlich sind wie sie zu Beginn scheinen.
Durchwachsener Denksport
Die Weichen für einen spannenden investigativen Titel sind nach der Einleitung zwar ausreichend gestellt, schnell zeigt sich jedoch eine der Schwächen des Adventures. Obwohl die ersten Minuten grundsätzlich stimmig loslegen, wenn wir uns beispielsweise Zutritt zur Wohnung des verschwundenen Maulwurfs verschaffen müssen, gelingt es den Machern leider nicht, die Qualität der Rätsel auf diesem Niveau zu halten: Einige Denksportaufgaben fügen sich gut in die Handlung ein, andere wirken zum Teil beliebig, manche gar komplett gestellt. Zu oft ist außerdem nicht wirklich ersichtlich, wieso wir gewisse Dinge überhaupt tun müssen. Lösen wir ein Problem durch Zufall oder Probieren, bleibt zwar der „Aha“-Moment nicht aus, es fällt dem Spiel jedoch manchmal sichtlich schwer, uns entsprechend auf die richtige Fährte zu dirigieren. Deshalb zählen wir die Knobelleien letztlich zum anspruchsvolleren Kaliber. Dabei sind die Rätsel als solches nicht unbedingt per se schlecht, fügen sich in unseren Augen zu einem gewissen Teil nur etwas zu holprig in die Geschehnisse ein. Es fehlen dann – wie eben angedeutet – schlicht die Hinweise, warum wir etwas tun müssen. Zudem wartet der ein oder andere Ort gern damit auf, den Spieler akribisch den Screen nach eben dem einen Pixel absuchen zu lassen, hinter dem sich entweder ein wichtiger Aktionspunkt oder ein Gegenstand verbirgt. Eine Hotspot-Anzeige sucht man selbstredend in einem Klassiker der 1990er vergebens. Direkt vorwerfen kann man dies dem Spiel aber nicht wirklich. Die Konkurrenz machte es zumeist gleichermaßen nur zu gern. Zumindest bis auf den ein oder anderen eingestreuten „Red Hering“. Hierbei handelt es sich um Gegenstände, die zwar aufgenommen, letztlich aber vollkommen nutzlos sind und nur verwirren sollen.
Hier hat er sehr genagt, der „Der Zahn der Zeit“
Es gibt Adventures wie ‚The Curse of Monkey Island‘, welches mit wunderschön gezeichneten Orten richtig gut gealtert ist und dann gibt es Titel, die aus heutiger Sicht grafische Unzulänglichkeiten nicht mehr verbergen können. ‚Nightlong‘ – als typisches „Render-Kind“ der 90er – gehört wohl zur zweiten Gruppe. Es kommt eben aus einer Zeit, als Spiele-Entwickler sich auf in Echtzeit berechnete Figuren, die durch vorgerenderte Locations watscheln, einschossen. Eine Art Übergangslösung bis Ende der 1990er dann die ersten reinen 3D-Titel erschienen. Und die Gattung der Grafik-Adventures wie ‚Nightlong‘ eines ist, von denen haben es einfach die wenigsten geschafft, durch heutige Augen noch als frisch oder gar schick wahrgenommen zu werden. Der Mix aus handgezeichneten und mit dem Raytracer erstellten Bilder schwankt ständig zwischen „schick“ und „geht so“ – im Großen und Ganzen aber noch vollkommen in Ordnung. Die Charaktere können derweil sowohl in den zahlreich vorhandenen Zwischensequenzen wie auch direkt in der Spielwelt keinesfalls überzeugen. Fehlende Animationen sowie die mangelnde Lippensynchronität in den Filmchen kosten schon ein wenig der Agentenatmosphäre. Da hier obendrein gern in die Nahansicht der Protagonisten geschaltet wird, sticht das besonders hervor. In der eigentlichen Spielwelt indes haben die Figuren beinahe gar keine eigenen Bewegungsabläufe. Selbst die wichtigste Figur des Privatdetektivs Joshua Reev besitzt kaum mehr als eine reine Laufanimation. Grundsätzlich erinnert die Grafik sehr an das ein Jahr zuvor erschienene ‚Blade Runner‘, ohne jedoch dessen Größe zu erreichen. Letztlich ist es wohl eine subjektive Einschätzung, doch der Abkömmling von den ‚Westwood Studios‘ scheint die Zeit zumindest ein wenig besser überstanden zu haben. Beide Spiele zeigen sich jedoch unter dem berühmten Strich in Sachen Optik für die Zeit ihres Erscheinens absolut angemessen.
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Das Problem mit der Sphinx
Leider hat sich in die deutsche Verkaufsversion des Adventures ein sehr unglücklicher Fehler eingeschlichen, der das Durchspielen gänzlich unmöglich macht. Stoßen wir nämlich im Untergrund auf ein ausrangiertes Museum, werden wir beim Betreten des Raumes mit der großen Sphinx mit einem pechschwarzen Bildschirm alleine gelassen. Da es leider keine Möglichkeit gibt, dieses Problem zu umgehen, sollten interessierte Retro-Agenten einen Blick in unsere Hinweis-Box werfen. Denn da stellen wir einen Spielstand für die deutsche Version zum kostenfreien Download zur Verfügung, der Euch direkt hinter die betreffende Stelle befördert. Damit könnt Ihr dann problemlos weiter und das Adventure zu guter Letzt selbstredend auch komplett durchspielen. Es ist in der Tat unverständlich, wie sehr die Qualitätssicherung an dieser Stelle geschlafen zu haben scheint. Immerhin wird das Problem nicht versehentlich ausgelöst, sondern geschieht bei jedem einzelnen Durchlauf. Keine Ahnung, wieso das nicht auffiel. Ein Patch, der den Bug austreibt, existiert bis heute nicht. Wohlgemerkt steht die deutsche Fassung mit diesem Problem alleine da. Im englischen Original läuft das Spiel nicht nur problemlos, es existiert obendrein ein Patch, der andere (nicht spielentscheidende) Probleme aus der Welt schafft. Selbstredend ist der nicht kompatibel mit der lokalisierten, deutschen Variante. Einfach unverständlich!
Union City – das Dorf der Zukunft
Richtig gut gefällt übrigens die deutsche Sprachausgabe. Mit professionellen Sprechern ist sie dem Original deutlich überlegen, was wohl hauptsächlich Manfred Lehmann zu verdanken sein dürfte. Der Bruce-Willis-Synchronsprecher leiht Joshua Reev nämlich gekonnt seine Stimmbänder und das passt einfach sehr gut zur Agentenatmosphäre. Dem entgegen stellt sich allerdings die ungeheure Armut williger Gesprächsteilnehmer. Obwohl uns ‚Nightlong‘ in eine riesige, überbevölkerte Großstadt wirft, spüren wir davon eigentlich kaum etwas. Die Straßen sind wie leergefegt und selbst in Locations wie einer Bar müssen die Entwickler kuriose Geschichten erfinden, die den Spieler unter anderem darüber aufklärt, warum beispielsweise der Kellner zur Stoßzeit keine Kunden bedient. Denn nach 20:00 Uhr gilt in Union City ein allgemeines Ausschenkverbot für alkoholische Getränke. Das ist des Rätsels Lösung. In der Zukunft scheinen Freunde wohl so anstregend zu sein, dass man die ohne sinnbetäubende Spirituosen gar nicht mehr treffen mag. Natürlich sind wir uns im Klaren, dass Adventures-Budgets – entgegen anderer Genres – schon immer eine begrenzte Ressource waren, aber dass wir in einer Großstadt kaum auf Menschen treffen, fühlt sich einfach eigenartig an. Tatsächlich finden wir im gesamten Adventure kaum mehr als ein knappes Dutzend Dialogpartner. In unseren Augen ein bisschen wenig.
Hinweis: Spielentscheidener Bug
In der Mitte des Abenteuers geht es leider in der deutschen Version nicht weiter. Möchte man im unterirdischen, verlassenen Museum den Raum mit der Sphinx betreten, stürzt der Titel ab. Ein Patch erschien leider niemals. Unter dem unten stehenden Link findet Ihr einen Spielstand, der Euch direkt hinter die betreffende Stelle befördert. Sämtliche relevanten Gegenstände für das weitere Voranschreiten sind bereits im Inventar. Der Raum kann nur nach oben verlassen werden, da sonst der Titel ebenfalls abstürzt! Davon abgesehen kann das Adventure mittels des Spielstands problemlos bis zum Ende gespielt werden.
Download: 'Nightlong' - Spielstand (nur deutsche Version)
„Ach Du Scheiße“
Etwas ungewohnt zeigt sich der saloppe Jargon, den die Sprecher an den Tag legen. Joshua flucht nämlich ganz gern, passt jedoch zum Charakter und damit zur rauen, erwachsenen Atmosphäre. Heute mag das kaum mehr als eine Randnotiz sein, im angelsächsischen Original sollte es anno 1998 allerdings schon etwas Besonderes sein, einen Charakter ganz offen mit dem bösen „F-Wort“ fluchen zu hören. Blöderweise wird diese Stärke direkt durch die schlechte deutsche Übersetzung aufgehoben. Auch hier scheint keine Qualitätssicherung stattgefunden zu haben. Die Auswahlmöglichkeiten der ohnehin schon wenigen Gespräche im Multiple-Choice-Verfahren sind lieblos und unfassbar miserabel übersetzt. Da bleibt einem wahrlich die Spucke weg. Zum Teil stehen Phrasen zur Auswahl, die absolut keinen Sinn ergeben und eine willkürliche Aneinanderreihung deutscher Worte zu sein scheinen. Oder kann uns bitte jemand erklären, was „Fragen Sie, wem in Angriff nahm sie.“ oder „Lassen Sie ihn während des Momentes, dort sind mehr Betätigen ausmacht.“ überhaupt bedeuten sollen? Wie ist denn das bitteschön passiert? Den Google-Übersetzer gab es doch zu dieser Zeit noch gar nicht. Ernsthaft: Diese Problematik durchzieht leider einen nicht unwesentlichen Anteil der deutschen Lokalisierung. Glücklicherweise bezieht sich dies ausschließlich auf die zu lesendenden Worte. Würden die Sprecher in diesem Kauderwelsch stammeln, hätte das zwar einen nicht zu unterschätzenden humoristischen Charakter, spielbar wär's dann aber wohl nicht mehr. Manche Gegenstände sind davon abgesehen ebenfalls vollkommen falsch benannt und erschließen sich bloß durch ihre visuelle Darstellung.
Eigentlich gut, dann wieder durchwachsen und manchmal sogar ein ganz klein wenig miserabel
Selbstredend soll ‚Nightlong – Union City Conspiracy‘ Fans von CyberPunk-Adventures a la ‚Blade Runner‘ ansprechen. Denen könnte man den Titel auch in der Tat empfehlen, wenn da nicht die vielen Unzulänglichkeiten und derben Probleme der deutschen Version wären. Interessierte sollten jedenfalls schon vorher eine ganze Ladung Verständnis bereithalten. Die zum Teil unfassbar laienhafte deutsche Übersetzung der Hotspots und der Dialogoptionen muss man bereit sein, verschmerzen zu können. Glücklicherweise (!) sind die gesprochenen Worte davon nicht betroffen. Der deutsche Hackepeter bezieht sich ausschließlich auf die Texteinblendungen – schön ist‘s natürlich dennoch nicht. Der „Sphinx-Bug“ in der Mitte des Adventures hindert obendrein daran, überhaupt weiterspielen zu können. Ohne rettenden Spielstand (siehe Info-Box) geht‘s an dieser Stelle überhaupt nicht weiter. Dass hier irgendjemand so dermaßen gepennt hat und das dann auch noch so ins Presswerk ging, ist kaum zu begreifen. Da bekommt man vom vielen Kopfschütteln ja Schmerzen im Nacken. Abgesehen davon offenbart ‚Nightlong‘ ansonsten ein wirklich solides Adventure-Erlebnis. Zwar kein Meilenstein wie ‚Blade Runner‘ oder gar die ‚LucasArts‘-Titel, wir konnten dem Spiel aber dann doch einiges abgewinnen. Gerade die ersten Minuten sowie das letzte Drittel, in dem wir eine Basis auf einer abgelegenen Insel infiltrieren, sind richtig gut gelungen. Aufgrund der zahlreichen Probleme der deutschen Version sprechen wir aber verständlicherweise nur eine bedingte Empfehlung aus. Geneigte Undercover-Agenten greifen daher entweder zum englischen Original oder leben mit den Unzulänglichkeiten. Gänzlich ignorieren sollte man ‚Nightlong‘ allerdings nicht. Denn diese böse Abstrafung hat das Adventure trotz aller Macken dann doch nicht so recht verdient.
[ Klassiker-Test _ 18.05.2019 ]
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