In unseren Augen war ‚The Whispered World‘ aus dem Jahre 2009 ein richtiger Überraschungshit. Obwohl die USK dieses Spiel bereits Abenteurern bewilligte, die gerade das sechste Lebensjahr erreicht hatten, zeigte das nur, dass man sich von der kunterbunten, kindlichen Optik hat blenden lassen. Es war zwar grafisch definitiv wunderschön anzusehen – immerhin ist das damalige Review der erste Artikel bei uns gewesen, bei dem wir im Eiltempo unsere Galerie einführten -, doch im Kern richtete sich der Titel eigentlich an das etwas reifere Publikum. Die teils sehr melancholische und traurige Reise Sadwicks, dieses kleinen Helden wider Willens, regte spätestens beim Finale zum Nachdenken an. Und obwohl eine Fortsetzung unnötig erschien, schickt uns ‚Daedalic Entertainment‘ ein zweites Mal in die Märchenwelt. Bereits vorweg sei zu sagen, dass sich Nicht-Kenner des Vorgängers unbedingt erst an den setzen sollten. ‚Silence‘ setzt zwar kein Wissen voraus, verrät jedoch ohne Wenn und Aber konsequent den eigentlich überraschenden Twist der bisher erlebten Geschichte.
Noah und seine kleine Schwester Renie genießen einen ruhigen Abend in ihrer verschneiten Heimat. Die Kinder bauen einen Schneemann und die Ruhe lässt vergessen, dass man sich eigentlich gerade mitten im Krieg befindet. Als ein plötzlicher Luftangriff die Stadt zu zerbomben droht, fackelt selbstredend Noah nicht lange und kann sich buchstäblich in letzter Minute mit seiner kleinen Schwester Renie in einen Bunker retten. Durch das kleine Bullauge muss er allerdings mit ansehen, wie seine Heimatstadt und vor allem die Menschen, die er kennt und schätzt, dem Bombenhagel zum Opfer fallen. Dem nicht schlimm genug detoniert eine Bombe direkt in der Nähe des Bunkers, der er kaum standhalten kann. Als Noah anschließend erwacht, ist Renie plötzlich spurlos verschwunden und er muss entdecken, dass er sich nicht mehr in der wirklichen Welt befindet. Er ist in Silence – eben jener Welt, in die er sich in seinen Gedanken im Vorgänger flüchtete. Allerdings ist auch in der Märchenwelt mittlerweile so einiges im Argen, hat der Krieg dort doch ebenfalls Spuren hinterlassen. Dunkle Kreaturen überfallen das Land, angeführt von einer bösen Herrscherin. Dem entgegen stellt sich eine kleine Gruppe von Rebellen, auf die Noah schon bald trifft. Doch eigentlich sind für ihn deren Probleme erst einmal zweitrangig: Oberste Priorität ist einfach das Finden seiner kleinen Schwester Renie.
The Wispered World II
Fans des ersten Teils werden sich schnell zurecht finden und erfahren auch so einige Wiedersehen mit Gesichtern des Vorgängers. Natürlich darf in dieser Riege das raupenähnliche Wesen Spot nicht fehlen, welches einmal mehr durch seine zahlreichen Metamorphosen immer hilfreich zur Seite steht und in ‚The Whispered World‘ einiges an Umdenken im Bezug auf das Lösen der Rätsel an den Spieler stellte. Denn durch ihn waren eben nicht nur die Utensilien im Inventar für die Grübelkost relevant. Anders bei ‚Silence‘: Spot kann sich zwar immer noch in allerlei Formen verwandeln, ist jedoch nun wichtiger denn je. Tatsächlich werden gut zwei Drittel aller Rätsel nur durch seine Hilfe lösbar. „Echte“ Gegenstände sind beinahe zweitrangig geworden. Oft schlummert gar nur ein einziges Objekt im Inventar. Dadurch sind die Rätsel praktisch durchweg viel zu leicht, bieten aber im Umkehrschluss eine sehr flüssige Spielerfahrung. Feststecken dürften selbst Neulinge im Genre zu keiner Zeit. Zudem können per Klick auf die mittlere Maustaste sämtliche Hotspots direkt ersichtlich gemacht werden, was den Schwierigkeitsgrad zusätzlich herabsenkt.
„Letzte Chance – ich zähle bis drei: Eins, fünf, sieben ... DREI!““
- Renie
Bruder und Schwester
Im Gegensatz zum Vorgänger, in dem wir ausschließlich mit Noahs Alter Ego Sadwick durch die Landen streiften, übernehmen wir mit Renie in ‚Silence‘ einen zweiten Charakter. Oft sind beide an verschiedenen Locations voneinander unabhängig zu Gange. In dem Fall wird erst dann zum jeweils anderen geschaltet, wenn man in dem Areal sämtliche Rätsel gelöst hat oder man manuell zwischen beiden hin und her schaltet. In unseren Augen ist dieses Feature zwar eine nette Dreingabe, jedoch durch den lockeren Schwierigkeitsgrad beinahe obsolet. Während unseres Durchlaufs haben wir das daher nie genutzt und immer direkt alle Rätsel für den entsprechenden Charakter gelöst. Heimlicher Star ist für uns übrigens die Rolle der kleinen Renie. Die ist nämlich in unserer Landessprache mit Lotti Holsten altersgerecht und zum Teil herzallerliebst vertont. Ganz im Gegensatz zu vielen Konkurrenztiteln, bei denen Kinder von Erwachsenen synchronisiert werden und damit nicht nur schwer ernstzunehmen sind, sondern gleich mal die Segel in Richtung Fremdschamgrenze setzen. Hin und wieder sind außerdem ein paar kleine Schmunzler dabei, die man der kleinen Renie einfach abkauft. Auch ihr „neunmalkluges“ Gerede ist immer wieder niedlich mit anzuhören. Man merkt, hier hat sich jemand wirklich richtig Gedanken gemacht, wie sich ein Kind anhören und verhalten würde. Das ist zum Teil so gut gelungen, dass wir mit Noah richtig mitfühlten und wir auf keinen Fall wollten, dass der kleinen Renie irgend etwas passiert. Nochmal ein ganz großes Lob an ihre Rolle! Daedalic-typisch sind die weiteren Figuren im Spiel selbstredend ebenso hervorragend vertont.
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Das „Modern Adventure“
Auf der offiziellen Webseite preisen die Entwickler ihr Adventure übrigens nicht als klassisches, sondern als „modernes Adventure“ aus. Was es damit auf sich hat, finden wir recht schnell heraus: Rätsel im bekannten Modus mit Inventar und so weiter gibt es nämlich so gut wie gar nicht. Obendrein müssen wir zudem immer wieder mit der Maus bestimmte Gesten ausführen. Ziehen wir beispielsweise an einer Pflanze, müssen wir mit gedrückter Mausstaste die entsprechende Bewegung in die gewünschte Zug-Richtung tätigen. An anderer Stelle muss mit filigraneren Maus-Bewegungen ein sich bewegender Punkt möglichst im Zentrum gehalten werden, damit unser Protagonist balanciert und das Gleichgewicht hält. Grundsätzlich sollte das niemanden vor eine Herausforderung stellen, ist jedoch in der Tat eine nette Abwechslung zum klassischen und bekannten Spielprinzip der Adventures. Zudem wirken die Maus-Gebärden nicht aufgesetzt und sinnvoll in das Spielgeschehen integriert. Im Großen und Ganzen bestätigen die Entwickler bereits im Vorfeld, sich an den Telltale-Titeln orientiert zu haben. So müssen wir auch immer mal wieder Entscheidungen im Sinne eines Für oder Wider treffen. Unter‘m Strich sind die Auswirkungen allerdings relativ oberflächlich und grundsätzlich niemals wirklich dramatisch. Hier hätte ein wenig mehr Mut sicherlich gut getan und hätten überdies den Wiederspielwert erhöht.
Einfach bildschön!
Bemerkenswert empfinden wir die unfassbar ansehnliche Optik des Titels, gepaart mit den tollen und butterweichen Animationen. Das Adventure fühlt sich dadurch nicht nur sehr modern und frisch an, sondern steht praktisch derzeit im Genre außer Konkurrenz. Es macht einfach Spaß, dem Geschehen auf dem Bildschirm zu folgen. Die verschiedenen Farbtemperaturen tauchen dabei die Welt von Silence in eine angenehme Gemütlichkeit – perfekt für‘s Grübeln in den Abendstunden. Oben drauf gibt's dann noch einen sehr wertigen orchestralen Soundtrack, dessen Spektrum von verträumt bis spannungsgeladen sämtliche akustische Facetten bedient - äußerst hörenswert. Leider gibt es allerdings auch den ein oder anderen Kritikpunkt: Die Ladezeiten hätten gern kürzer ausfallen dürfen und stören ziemlich stark in den selbstlaufenden Sequenzen, wenn diese über verschiedene Locations hinaus gehen. Das Hin- und Herschalten dauert dann nämlich immer gefühlt einfach zu lange und nimmt einen gewissen Schwung aus der Erzähldynamik. Die vorgerenderten Sequenzen stehen durch ihre schwächere Qualität und die nicht allzu flüssige Wiedergabe zudem im starken Kontrast zu den butterweichen 60 Bildern pro Sekunde des eigentlichen Spiels. Ebenso konnten wir uns mit dem automatischen Speichersystem nicht unbedingt anfreunden. Als alte Adventure-Veteranen möchten wir gern selbst bestimmen, wann gespeichert wird und vor allem wie viele Spielstände es denn sein sollen.
So und nicht anders muss ein Adventure heute aussehen!
Wir haben zwar den ein oder anderen Kritikpunkt – wie das automatische Speichersystem oder die langen Ladezeiten – dennoch ist die zweite Reise in die märchenhafte Welt von Silence im Nachfolger von ‚The Whispered World‘ auf alle Fälle einen Besuch wert. Die beiden Hauptprotagonisten Noah und Renie sind einfach viel zu sympathisch, um sie im Stich zu lassen. Allerdings ist das Erzählen der Geschichte in unseren Augen nicht konsequent genug. Bei den Entscheidungen hätten wir uns nämlich viel mehr Mut gewünscht. So macht es den Eindruck, als habe man vor allem ein jüngeres Publikum ansprechen wollen. Subjektiv gesehen ist der erste Teil viel erwachsener - und das obwohl man für ‚Silence‘ laut USK doppelt so alt sein muss. Des Weiteren treffen wir im Laufe des Adventures auf neue Gesprächspartner wie die Rebellentruppe. Denen schließen sich die beiden Geschwister sogar an. Nichtsdestotrotz bleiben die neuen Mitstreiter letztlich durch die Bank eindimensional. Deren Probleme und Beweggründe werden zwar angerissen, dann aber eben nicht zu Ende erzählt. Mit nur rund vier bis fünf Stunden Spielzeit scheint da allerdings auch generell wenig Platz für so etwas gewesen zu sein. Dennoch hat uns ‚Silence‘ außerordentlich gut gefallen und wir können es Fans des ersten Teiles nur ans Herz legen. Es ist ein charmantes, hörens- und absolut sehenswertes Adventure geworden, das vielleicht bei genauerer Betrachtung ein paar Ecken und Kanten innehat, dem eigentlichen Spielerlebnis damit aber kaum wirklich schaden kann. Neuankömmlinge in der Märchenwelt sollten jedoch die Finger von diesem Nachfolger lassen und vorher unbedingt erst einmal ‚The Whispered World‘ spielen! Denn ansonsten wird der überaus interessante Plot des Vorgängers direkt verraten und nimmt damit die Motivation, diesen letztlich doch noch nachträglich selbst zu erleben. Und das wäre richtig schade!
[ 26.01.2017 ]
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