Eigentlich sollten wir PC-Spieler bei 'Everybody's Gone To The Rapture' außen vor bleiben. Denn der Titel erschien ursprünglich bereits im August 2015 und war 100% Playstation-4-Exklusiv. Warum sich 'Sony Interactive Entertainment' nun doch hat bekehren lassen, auch Windows-Maschinen mit dem explorativen Adventure zu beglücken, ist indes unklar. Völlig überraschend wurde Anfang April das Stückchen Software für den PC angekündigt und keine zwei Wochen später auf der Online-Plattform 'Steam' veröffentlicht. Aber vielleicht sollten wir hier nicht unbedingt nach einem Grund suchen, sondern uns einfach freuen. Denn obwohl 'Everybody's Gone To The Rapture' nicht für jedermann etwas sein dürfte, ist es in unseren Augen schon etwas ganz Besonderes. Ironischerweise liegen die Wurzeln des Adventures nicht einmal in der eigentlichen Spielentwicklung. Ein Professor an der englischen Universität Portsmouth hatte mit dem zugrundeliegenden Prototypen nämlich etwas ganz anderes vor. Er wollte eine neue Art des Geschichtenerzählens demonstrieren…
Yaughton, Shropshire, 6. Juni 1984: Als typischer Noboby ohne Namen und Stimme erreichen wir einen kleinen Ort im Süden von England. Die idyllische Gegend lädt praktisch dazu ein, dort zu verweilen oder gleich den nächsten Urlaub zu planen. Die saftigen Wiesen, die Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch die Gräser bahnen und die unglaublich schöne Atmosphäre lässen uns kurz entspannt durchatmen. Aber der Frieden trügt, denn als wir uns dem naheliegenden Dorf nähern und die Häuser inspizieren, entdecken wir Warnungen an den Haustüren. Deren Aufschrift „Quarantäne“ lässt nun nicht unbedingt Gutes vermuten. Wir laufen direkt zur nächstgelegenen Kneipe, normalerweise eine Sammelstelle von Ortsansässigen. Doch als wir uns ihr nähern, hören wir weder Musik, noch Gelächter. Es ist niemand da. Warum auch immer, aber der kleine Ort ist absolut menschenleer. Keine Seele weit und breit … Was um Himmels Willen ist hier geschehen?
Folge dem Licht!
Kaum haben wir uns im Dorf ein wenig umgesehen, erscheint eine seltsame Lichtkugel. Wie ein Schmetterling zieht sie ihre Bahnen vor unseren Augen und wir beschließen, ihr zu folgen. Auf dem Weg entdecken wir weitere leuchtende Objekte, mit denen wir aber interagieren können. Durch sie schalten wir Erinnerungen frei, die uns in kleinen Schritten Einblicke in das Leben der Bevölkerung geben und den Grund, warum niemand mehr da ist, um uns diese Geschichte persönlich zu erzählen. Dabei sehen wir allerdings nicht die Figuren direkt, sondern lediglich Silhouetten aus Licht, die wie in einem Theaterspiel einzelne Szenen nachspielen. Außerdem finden wir noch zahlreiche Radios, in denen die Akademikerin Dr. Katherine Collins zu uns spricht und wie in einem Audio-Tagebuch einzelne Vorfälle schildert, sowie Telefone, indem wir Gespräche zwischen ihr und einem weiteren Wissenschaftler namens Dr. Stephen Appleton belauschen dürfen. Allerdings sind die Erinnerungs- und Gesprächsfetzen nicht unbedingt in chronologischer Reihenfolge und wir sind gefragt, uns einen Reim auf das alles zu machen. Angeblich soll eine Art Grippe die Menschen dahingerafft haben. Doch selbst als Nicht-Mediziner sind wir uns im Klaren, dass eine Grippe niemals Landstriche entvölkern könnte. Was nun tatsächlich hinter dem Verschwinden der Anwohner steckt, obliegt uns herauszufinden.
Geschichte zum Miterleben
Dabei richtet sich 'Everybody's Gone To The Rapture' ganz klar an Spieler, die Erzählungen bevorzugen, die nicht unbedingt alles auf dem Silbertablett servieren. Denn während wir durch die vermeintliche Idylle wandern, haben wir nicht nur Anteil an den Erinnerungen der Bevölkerung, die sich mit dem Vorfall auseinandersetzen, sondern wir bekommen ebenfalls Einblicke in die verschiedenen Privatsphären, haben Anteil an ihren Liebschaften, an den Gründen für ihr Verschwinden und ihren Ängsten. Zu keiner Sekunde wird das lieblos hingeklatscht oder wird gar uninteressant. Letztlich ist es so, dass uns so manche Figuren gar nahe gehen können, obgleich wir sie im Spiel niemals wirklich antreffen. Der Hauptgrund für diese Bindung ist zweifelsohne die hervorragende deutsche Sprachausgabe. Wenn eine Mutter ihrem Kind vollig verängstigt ein Schlaflied vorsingt, kommen wir nicht umhin, dass wir mit Gänsehaut vor dem Monitor sitzen. Natürlich ist das bei jedem Menschen anders veranlagt, aber die Sprecher erwecken die Geschichte wahrlich zum Leben. Dadurch, dass wir lediglich silhouettenhafte Lichtgestalten vor uns haben, übernimmt unsere Vorstellung den Rest. Es ist so ähnlich wie in einem Gruselfilm das Monster nicht sehen zu können: Unsere Phantasie komplettiert das Ungesehene und das macht den eigentlichen Grusel aus. Nur, dass wir hier nicht schaudern, sondern mitfühlen.
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Ein Soundtrack, sie alle zu lehren
Aber die Sprecher haben nicht den alleinigen Anteil daran, dass die Bilder uns in der Tat so nahe gehen. Musikalisch bietet 'Everybody's Gone To The Rapture' nämlich zweifelsohne einen der herausragendsten Soundtracks der Spielegeschichte. Die britische Komponistin Jessica Curry hat in Zusammenarbeit mit dem Londoner Chor einen Klangteppich geschaffen, der vor allem in emotionalen Szenen derart passend und treffend einsetzt, dass die Situationen, obgleich wir sie nur durch Erinnerungen gespielt von Lichtgestalten sehen, so greifbar werden, dass wir schwermütig vor dem Monitor sitzen. Tatsächlich erinnerte uns die Musik ein wenig an die emotionalen Stücke von Howard Shores 'Der Herr der Ringe'-Soundtrack. Die melodischen Klänge sind jedenfalls wahrlich eine imposante Leistung! Mehr bleibt uns da eigentlich nicht zu sagen. Nur noch so viel: Als der Abspann über den Bildschirm scrollte, lehnten wir uns zurück und mussten das alles erst einmal Sacken lassen. Von daher empfehlen wir auf jeden Fall das Adventure mit einer guten HiFi-Anlage oder qualitativen Kopfhörern zu erleben! Der Kauf des Soundtracks war für uns ganz klar obligatorisch.
Keine Entscheidungen, keine Rätsel … reines Erleben
Anders lässt sich das Spielgefühl eigentlich nicht ausdrücken, als dass es auf das reine Erleben abzielt. Zu tun gibt es in den englischen Landschaften nämlich nichts. Uns stellen sich keinerlei Rätsel in den Weg und niemand stellt uns vor etwaige Entscheidungen. Das Ziel ist das Durchforsten der Gebiete nach den vielen Erinnerungen der verschwundenen Bevölkerung. Und obgleich wir wissen, dass sich das nach „Walking Simulator“ anhört, sollte nicht der Fehler begangen werden, den Titel auf diese simple Mechanik herunterzubrechen. 'Everybody's Gone To The Rapture' fühlt sich einfach nach viel mehr an. Wir sind richtig versunken darin. Schade ist indes nur, dass tatsächlich wenige Gebäude auch wirklich betreten werden können. Sofern uns eine halboffene Eingangstür nicht suggeriert, dass man eintreten kann, ist maximal der Hintereingang des Gebäudes noch einen Versuch wert. Denn obwohl grundsätzlich nur dem Lichtschweif gefolgt werden muss, finden sich auch abseits der offiziellen Pfade trotzdem weitere kleinere Erinnerungsfetzen. Wer also jeden Winkel der Welt durchforsten mag, den belohnt das Adventure mit einigen, weiteren interessanten Hintergrundschnipseln.
Opulente Postkartenidylle
Dank 'CryEngine 3', die übrigens von der in Frankfurt/Main ansässigen Firma 'Crytek' stammt, werden Bilder auf den Bildschirm projiziert, die manches Mal beinahe an Fotorealismus grenzen. Es ist fast nicht nachvollziehbar, mit welcher Liebe zum Detail die Landschaften erstellt wurden. Praktisch jeder zweite Kamerawinkel eignet sich direkt als erstklassiges Wallpaper. Wir konnten jedenfalls beim Knipsen der Screenshots für diesen Test kaum innehalten. Immer wenn man dachte, schöner geht’s nicht mehr, überraschten einen die Entwickler mit noch imposanteren Landschaftsbildern. In den höchsten Einstellungen eine wahre Augenweide! Doch das hat natürlich seinen Preis: Wer sämtliche Regler am Anschlag sehen möchte, benötigt mindestens eine Grafikkarte vom Niveau einer Nvidia GeForce GTX 770 bzw. AMD Radeon HD 7970. Zumindest sagen das die empfohlenen Systemanforderungen. Unserer Meinung nach ist aber selbst das für eine flüssige Bildwiederholrate von 60 FPS noch immer zu wenig. Für Grafikfetischisten empfehlen wir daher ein aktuelleres Modell.
'Everybody's Gone To The Rapture' ist wahre Kunst!
Offen gestanden sind wir an dieses Adventure mit so manchem Vorbehalt herangegangen und auf dem Papier liest sich das Prinzip des reinen explorativen Umherlaufens erstmals nicht unbedingt spannend. Doch nachdem wir es nun in seiner Gänze erlebten, sind wir jedenfalls froh, dass wir uns eines Besseren belehren lassen haben. Denn wer 'Everybody's Gone To The Rapture' als simple Grafik-Wanderschaftsdemo abtut, der hat es definitiv nie selbst erlebt. Die Gesamtkomposition aus Erzählung, tollen deutschen Sprechern, emotionalem Soundtrack und wegweisender Grafik geht nämlich wesentlich weiter als man es zunächst annehmen mag. Wir kommen nicht darum zu sagen, dass dieses Spiel nichts Geringeres als ein kleines Kunstwerk zum Selbsterleben ist und können nur jedem Freund von interessant erzählten Geschichten nahelegen, es zumindest einmal auszuprobieren. Dank Rückgabemöglichkeit bei 'Steam' sollte das grundlegend heutzutage kein Problem mehr sein. Der Wiederspielwert hält sich zwar natürlich in Grenzen und mit den rund 5 Stunden Spielzeit ist man leider auch nicht allzu lange beschäftigt, doch wir können's nur wärmstens empfehlen! Man muss sich eben nur darauf einlassen. Für uns definitiv ein Erlebnis, dass wir sobald jedenfalls nicht mehr vergessen werden. Sprechen wir in Zukunft von Spielen als Kunstform, dann werden wir zweifelsohne dieses kleine Meisterwerk im Kopf haben. Doch natürlich wird es da draußen genügend Menschen geben, die meinen, es sei nichts weiter als der nächste „Walking Simulator“. Denen möchten wir aber zumindest entgegnen, dass es dann aber zweifelsohne der beste „Walking Simulator“ bislang ist.
[ 16.04.2016 ]
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