Der tschechische Entwickler ‚Future Games‘ hat anno 2002 mit einem echten Knall in die Adventurewelt eingeschlagen. ‚Black Mirror‘ ist selbst heute noch unzähligen Fans im Gedächtnis, dessen Fortsetzung allerdings in andere, fähige Hände gegeben wurde. Man schien es den Tschechen wohl nicht mehr zuzutrauen, denn nach ‚Black Mirror‘ begann eine scheinbar endlose Talfahrt. ‚Nibiru‘ konnte zwar noch durch einige Stärken glänzen, erreichte aber nicht das Niveau des Erstlingswerkes. ‚Reprobates‘ enttäuschte dann viel deutlicher aufgrund nicht zu beschönigender Schwächen. Nun ist ‚Alter Ego‘ in die europäischen Regale gewandert. Ist die Talfahrt damit vorbei oder geht’s noch weiter bergab?
1894: Der junge Dieb und Tausendsassa Timothy Moor reist von Irland als blinder Passagier auf einem kleinen Kahn in das englische Hafenstädtchen Plymouth, um von dort die Reise in die Neue Welt anzutreten. Leider wird er vom Kapitän entdeckt, der ihn direkt nach Ankunft den Behörden übergibt. Timothy sieht keine andere Wahl, als schleunigst die Beine in die Hand zu nehmen, flieht über den Wasserweg in die örtliche Kanalisation und findet letztlich in einer kleinen Wäscherei Zuflucht. Er muss unbedingt das nahegelegene Pub erreichen, da er sich mit seinem Freund Brian verabredet hat, um gemeinsam mit ihm einen Plan auszutüfteln, wie’s von Plymouth weiter nach Amerika gehen soll. Doch der Zwischenstopp in dem kleinen englischen Städtchen hätte nicht unpassender sein können. Denn ein berüchtigter Adliger wurde erst kürzlich beigesetzt, der zu Lebzeiten unter dem Spitznamen "Mad William" Dutzende Menschen auf dem Gewissen haben soll. Dummerweise treiben sich Timothy und sein Bekannter Brian genau an dem Abend auf dem Friedhof der Beisetzung herum, an dem in die Grabstädte des mutmaßlichen Massenmörders eingebrochen wird. Um diese Geschehnisse zu untersuchen, erreicht beinahe zeitgleich Inspektor Briscol Plymouth, der – neben Timothy – die zweite Figur ist, die vom Spieler gesteuert werden darf. Was es mit dem Grabraub nun genau auf sich hat und was Timothy damit zu tun haben soll, wird bis zum letzten Drittel nicht klar. Erst gegen Ende soll auch seine Rolle in dem Adventure ‚Alter Ego‘ geklärt werden.
Zäher Spielverlauf
Auch wenn sich die Geschichte bis hierhin sehr gut durchdacht anhört, kann sie leider ihre volle Stärke nie wirklich entfalten. Das liegt vor allem an dem sehr trägen Vorankommen. Zu Beginn will der Plot nämlich einfach nicht so richtig in Fahrt kommen. Tatsächlich hat es uns erst im letzten Viertel so richtig gepackt, das Adventure auch beenden zu wollen – und zwar nicht nur wegen dieses Reviews. Das ist sehr schade, denn der Grundstein kann wirklich gefallen. Leider erinnern aber viele Spielminuten an die schwachen Insel-Passagen des ebenso schwachen, indirekten Vorgängers ‚Reprobates‘ – zumindest was den zähfließenden Ablauf angeht.
Durchdachte Rätsel
Und das langatmige Vorankommen hätte im Grunde nicht sein müssen, denn vor allem die Rätsel sind in ‚Alter Ego‘ teils exzellent gelungen. Zumindest bis auf wenige Ausnahmen: Zum Beispiel muss Timothy eines Morgens seinen Kumpel Brian in einem Pferdestall wecken. Anstupsen bringt nicht den gewünschten Erfolg, aber ein Messer fällt dabei aus seiner Tasche. Anstatt ihn vielleicht damit zu Pieksen, schnitzt sich Timothy lieber einen Holzsplitter aus einem der zahlreichen Holzbalken, um seinen besten Freund eben damit unsanft aus dem Schlaf zu holen. In einem anderen Rätsel muss man ein junges Frauenzimmer mit einem Hufeisen beruhigen?! Diese beiden Beispiele waren wohl die deutlichsten Schwächen im Rätseldesign, denn ansonsten ist das wirklich gut gelungen und nachvollziehbar in die Spielwelt integriert, wenn auch streckenweise zu einfach gestrickt. Diese Einfachheit unterstreicht zusätzlich das Interface, welches unwichtige Hotspots nach mehrmaligem Betrachten entfernt, wenngleich sich das auch sehr komfortabel anfühlt. Per Tastendruck können zudem alle übrigen, interaktiven Punkte anzeigt werden. Oder die Tatsache, dass richtig kombinierte Gegenstände durch ein schwaches Blinken die richtige Lösung bereits im Vorfeld verraten.
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Gleiche Locations – verschiedene Tageszeiten
Wenn die Tschechen für eine Sache ein Händchen haben, dann ist das wohl zweifellos die Optik. Wie in allen indirekten Vorgängern des Firmenportfolios kann sich auch in ‚Alter Ego‘ jede Location sehen lassen. Viele der leider sehr unbelebten, vorgerenderten Orte wird man im Laufe des Spieles außerdem zu verschiedenen Tageszeiten besuchen können. Das ist allerdings nicht nur schickes Beiwerk, sondern übertüncht dezent, dass man recht oft zu bereits bekannten Orten zurückreisen muss. Denn trotz Stadtkarte, mit der ein flottes Reisen möglich ist, bleiben die Reiseziele immer sehr überschaubar. Da hätten wir uns mehr gewünscht. Schade fanden wir außerdem, dass die Animationen der einzelnen Charaktere äußerst rudimentär gehalten sind, was Atmosphäre kostet. Mehr als ein paar sich ständig wiederholende Bewegungsabläufe darf man nicht erwarten. Ganz besonders ärgerlich war zudem, dass einige wichtige Szenen, vor allem gegen Ende, nicht direkt vom Spieler miterlebt werden können. Diese muss man sich im Nachhinein von einem anderen Charakter kurz zusammenfassen lassen. Da schien wohl das Geld für die Entwicklung nicht allzu locker zu sitzen. Sorry, aber so etwas wirkt äußerst lieblos!
Professionelle Vertonung
Nebst der Optik wurde ebenfalls nicht an der deutschen Vertonung gespart. So ist beispielsweise in Timothys Rolle die deutsche Stimme von Ben Affleck zu hören. Negativ fiel uns allerdings auf, dass die Spielfiguren in einigen Fällen auch dann die Lippen bewegten, wenn der Protagonist eigentlich nur in Gedanken mit sich selbst spricht. Die Dialoge sind streckenweise sehr ordentlich, allerdings muss man sich daran gewöhnen, dass man nach dem Betrachten so mancher Utensilien am besten noch einmal sämtliche näheren Gesprächspartner zum Plausch einlädt. Bereits besprochene Themen bleiben übrigens in der Multiple-Choice-Auswahl erhalten und werden durch dunkle Schrift als bereits besprochen markiert. Das kann durchaus hilfreich sein, wenn man mal den Faden verloren oder sich längere Zeit nicht mit dem Adventure beschäftigt hat.
Vom Laden und Speichern …
Ganz großer Kritikpunkt von uns geht an das Spielstandssystem, an dem wohl ein Praktikant gesessen haben muss und die Beta-Tester schlicht gepennt zu haben scheinen. Als wir das erste Mal unseren Spielstand laden wollten, sahen wir nichts anderes als einen schwarzen Bildschirm … das erging uns so auch beim zehnten Versuch. Erst nach unzähligem Durchprobieren konnten wir dann endlich den letzten Speicherstand zum korrekten Laden bewegen, was umständlicher nicht sein könnte. So startet man zuerst ein neues Spiel, klickt sich dann ins Hauptmenü in den Lade-Bildschirm und sucht sich dort den gewünschten Speicherstand aus. Nach dem Klick auf diesen fragt dann das Programm „Neues Spiel starten?“, was man bejahen muss, um sich dann endlich dort zu befinden, wo man beim letzten Mal aufgehört hat. Also umständlicher geht’s nun wirklich nicht und das in einem Adventure, wo vor allem diese Funktion elementar ist und damit möglichst simpel gehalten werden sollte!! Da schreit jeder Rätsler lauthalts nach einem Update.
‚Alter Ego‘ – Kein Kracher, aber auch kein schlechtes Adventure
Ähnlich wie der indirekte Vorgänger ‚Reprobates‘ ist auch ‚Alter Ego‘ nichts Besonderes geworden, allerdings auch kein schlechtes Adventure. Man muss dem Spiel eine Chance geben und vor allem die zu Beginn sehr zähen und unspektakulären Spielstunden tapfer durchhalten. Spätestens ab Timothys Einbruch in ein Herrenhaus gewinnt das Adventure dann nämlich etwas an Schwung und kann vor allem im letzten Viertel zumindest soweit überzeugen, dass man auf jeden Fall das Finale erreichen will. Letzteres kommt übrigens sehr überraschend daher. ‚Alter Ego‘ können wir demjenigen empfehlen, der auf größere Titel wartet und schlicht die Wartezeit überbrücken möchte, sowie die Euros in der Gelbörse über hat. Wer allerdings ein fesselndes Werk sucht, dessen Story einen nachts wachhält, der sollte von einem Kauf absehen. Denn leider ist der Titel, zumindest in unseren Augen, nicht mehr als ein Lückenfüller, der frühestens bei der ersten, umfassenden Preissenkung bedenkenlos gekauft werden kann.
[ 27.04.2010 ]
Kommentare Lamar:
Also mir hat Alter Ego sehr gut gefallen.
Es gibt natürlich auch kleinere Mängel, die durch einen Patch behoben werden können, dazu gehört das die Sprache oftmals nicht zu den Mundbewegungen der Personen gepasst haben.
Aber an der Syncro und auch an der Grafik sowie auch am Spielablauf hab ich nix zu bemängeln.
Mir hat dieses Adventure mal wieder so richtig gut gefallen.
Top Locations, sehr schnelle Bildwechsel, tolle Sprachausgabe, schöne Geschichte, und auch die Spielzeit war relativ angemessen. Ok mir können Spiele ja nie lange genug sein :-))
Rätsel waren auch reichlich vorhanden, und auch Story war reichlich vorhanden.
Mir hat es sehr gut gefallen, hätte ich nicht gedacht.
(28.04.2010 _ 16:34:41)Jan:
Alter Ego hab ich nun durch:
Auf jeden Fall wurde bei dem Spiel viel Potenziel verschenkt. Die Story ist doch relativ interessant und man hat Lust, permanent weiterzuspielen. Zähle mal die Pluspunkte kurz und knapp auf:
+ stimmungsvolle Grafik, mitreißende Story, atmosphärische Musik/Sound-FX
+ altbewährte "Black Mirror"-Maussteuerung
+ klasse Zwischensequenzen
Um auf das verschenkte Potenzial zurückzukommen: In diesem Zusammenhang kamen mir mehrere Fragen auf...
* Wieso wurden nur so wenig Hotspots ins Spiel integriert?
* Wieso sind die Rätsel allesamt so kinderleicht?
* Wieso wurde das atmosphärische Mitlesen wie bei Black Mirror (erst liest der Protagonist und dann schwenkt es auf die Stimme des Schreibers um) nicht integriert?
* Was hat dieser kruse Abspann zu bedeuten?
Das waren die 4 Fragen, die gleichzeitig auch die Hauptkritikpunkte darstellen.
Nichtsdestoweniger ist "Alter Ego" ein gutes Adventure, welches mMn aber um Längen Black Mirror hinterherhinkt und die Klasse eines Nibiru knapp verfehlt hat.
(15.10.2010 _ 14:32:52)
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