Wie oft hat man schon willenlose Sklaven durch ein PC-Spiel gescheucht? Im Allgemeinen machen sie, was ihnen gesagt wird und das war’s dann im Grunde auch schon. 'eXperience112' geht da einen großen Schritt weiter. Denn die Protagonistin übernimmt nicht der Spieler. Der hat lediglich Zugriff auf ein zugegebenermaßen gewaltiges Sicherheitsnetzwerk, mit dem er unzählige Kameras, Türmechanismen und Lichtschalter steuern kann. Ob diese Zuschauerrolle erstrebenswert ist, erfahrt Ihr in den kommenden Zeilen.
Die junge Wissenschaftlerin Lea Nichols erwacht völlig entkräftet auf einem umgebauten Tanker, der ausgehöhlt und mit allerhand Technik zugeknallt wurde. Er bot ihr lange Zeit einen interessanten Arbeitsplatz, handelt es sich doch um ein geheimes Forschungslabor, dass auf den mysteriösen Namen „Edehn“ hört. Lea weiß nicht, wie lange sie geschlafen hat, kann aber die Umgebung kaum wieder erkennen. Alles ist völlig mit Pflanzen zugewuchert und sie scheint zudem vollkommen alleine zu sein. Immerhin verlautet das ein Brief auf ihrem Nachttisch. Klar, dass man mit ihr nicht tauschen wollen würde. Völlig verängstigt sieht sie sich im Raum um und erspäht eine der zahlreichen Überwachungskameras. „Ist da jemand?“, will sie wissen. Ja, da ist jemand, nämlich der Spieler. Eine kleine Bewegung mit der Kamera, schon beruhigt sich Lea etwas: Denn sie ist nicht allein.
Indirekte Kommunikation
Dumm nur, dass man nicht mit der holden Weiblichkeit direkt in Kontakt treten kann. Also muss man sich anderer Hilfsmittel bedienen. Lea schlägt vor, dass eingeschaltete Lichter oder Konsolen die Brotkrumen ihres Weges darstellen sollen. Manchmal kann man auch, mittels Abnicken oder Schütteln der Kamera, Hilfestellung geben oder damit eine direkte Frage von Lea beantworten. Letzten Endes hat man Zugriff auf alles, was Chips enthält. Ob Kameras, Türen, persönliche Dateien in Computern (Passwort vorausgesetzt) oder eben einfache Glühbirnen an der Wand. Alles hört auf Dein Kommando. Somit dirigiert man Lea indirekt mit dem Einschalten von Beleuchtungen, um zu symbolisieren, wo sie sich am Besten hinbegeben sollte. Um sie dabei im Auge zu behalten, kann man sich durch die Unmengen von Kameras klicken, die überall im Komplex zu finden sind. Gegen Ende befestigt Lea auch eine tragbare Kamera an ihrem Overall, womit man dann auch sehen kann, was sie sieht. Um natürlich die Möglichkeit auszuschließen, dass man sich nicht gleich zu Beginn sämtliche Bereiche durch die Kameras anschaut, haben sich die Entwickler so genannte „Gebietswechselschalter“ einfallen lassen. Diese muss Lea vor Ort umlegen und ermöglicht es nur auf diese Weise, dass man ihr mit den Kameras in neue Bereiche folgen kann. Sicherlich für ein reales Forschungslabor nicht sinnvoll, da man wohl nicht davon ausgehen kann, dass etwaige Einbrecher brav den Schalter bedienen, damit man ihnen folgen kann, aber für das Spiel ist es auf jeden Fall sinnvoll.
„Da gehe ich nicht lang!“
Doch im Gegensatz zu einem normalen Adventure-Helden hat Lea auch ihren eigenen Kopf. Wenn sie sich beispielsweise davor drückt, vorgefundene Leichen zu durchsuchen. Da bleibt nicht anderes übrig, als die Gute mit mehrmaligem Einschalten derselben Lichter darauf hinzuweisen, dass in ihrer Situation nicht der richtige Zeitpunkt für Ekel ist. Dennoch sind es gerade solche Elemente, die das Spiel sehr realistisch wirken lassen. Zusätzlich unterstrichen wird dieser Sachverhalt von der ausgezeichneten Sprachausgabe. Eifrige 'Lost'-Fans werden sicherlich sofort die Stimme der Serienrolle Kate Austen erkennen, die Lea vertont. Trotz weniger Dialogpartner hat die immer wieder etwas zu sagen und tritt regelmäßig vor die Kameras, um ein Statement abzulassen. Sei es nun Lob für flott geknackte Kennwörter; Tadel, weil man sich nicht rührt oder auch gar leicht aufmüpfige Sprüche, weil man das Adventure längere Zeit nicht mehr gespielt hat. Denn das Programm merkt sich die letzte Einwahl. Klickt man sich nun zwei Tage später wieder in das Spiel ein, schimpft Lea nach dem Motto: „Wo warst Du? Ich warte hier ganze zwei Tage auf Dich!“ Musik gibt es ebenfalls, die äußerst gut gelungen ist. Sollte da mal eine Soundtrack-CD erscheinen, sind wir sicherlich die ersten, die die runde Scheibe kaufen werden.
Doch trotz eigenem Kopf ist die junge Wissenschaftlerin recht unselbstständig. Ohne Lichtsignale des Spielers bewegt sie sich keinen Zentimeter. Er muss sie auf alles hinweisen, sonst tut sich da nichts. Ein Manko ist leider, dass man überall am Besten jedes noch so kleine Lichtlein einschalten sollte. Denn immer wieder findet Lea Dinge, die man selbst mit drei Kameras einfach nicht gesehen hat. Doch auch Lea übersieht so Manches, womit trotz eingeschaltetem Licht in der Nähe nicht ein Achselzucken von ihr vernommen werden kann, sie also nicht darauf reagiert. Da hilft dann nichts anderes, als eine alternative Route zu finden – und das kann schon etwas Zeit in Anspruch nehmen. Denn das Frauenzimmer kann man nicht zum Sprinten oder zumindest einem schnellen Schritt auffordern. Gemächlich und langsam ist die einzige Option – mehr gibt es nicht.
Kameras upgraden
Wichtig sind vor allem die einzelnen Erweiterungen, die es für die Kameras gibt. Denn die elektronischen Augen haben zu Beginn nur rudimentäre Fähigkeiten, wie beispielsweise das Schwenken des Geräts. Im Laufe der Zeit sammeln sich dann mehr und mehr neue Features wie Zoom, Nachtsichtfunktion, Wärmebild und so weiter an. Durch gewisse Rätsel stellt das Programm außerdem sicher, dass man keine der wichtigen Zusatzfunktionen verpasst. So lassen sich manche Rätsel nur mit dem Zoom oder der Wärmebildkamera erfolgreich meistern. Leider sind die Hilfsfunktionen, die das Programm für die Bedienung der Kameras an sich bereitstellt, recht mäßig. Stellt man zum Beispiel ein, dass die Kameras in Leas Nähe automatisch aktiviert werden sollen, knipst das auch einige in vollkommen anderen Räumen an. Das manuelle Handling bewährt sich da um einiges besser. Zumal mehrere Kameras gleichzeitig auch kräftig an der Performance ziehen. Wir wissen nicht, welches System die Entwickler beim Beta-Test hatten, doch Abenteurer, deren Rechenknechte gerade einmal die Minimalvoraussetzungen erfüllen, sollten einen großen Bogen um den Titel machen. Wer 'eXperience112' spielbar erleben möchte, sollte schon ein wesentlich aktuelleres Endgerät unter dem Schreibtisch mit Strom füttern. Und das obwohl die Grafik im Grunde keinen vom Hocker hauen kann. Sie erfüllt zwar ihren Zweck, doch man hat schon Besseres gesehen. Skalierungsmöglichkeiten gibt es leider nur sehr wenige: Abgeschaltete Schatten oder wenige gleichzeitig verwendete Kameras können die Performance heben, wie das Herabsetzen der verwendeten Auflösung. Doch letzterer Schritt kann getrost vernachlässigt werden. Sobald man den Titel nämlich mit weniger als 1024x768 Bildpunkten spielt, sind einige Anzeigen kaum noch zu deuten. Für aktuelle Rechner wurde leider keine Möglichkeit eingebaut, mehrere Monitore zu verwenden. Das hätte sich gerade bei diesem Spiel natürlich angeboten. Zu Beginn mögen die Fenster noch überschaubar sein, doch spätestens nachdem man die ersten 50% des Adventures geknackt hat, wird die Oberfläche unübersichtlicher und die zahlreichen Fenster verdecken sich immer öfter gegenseitig.
Indirekte Steuerung, doch direkte Rätsel
Klassische Rätseleinlagen gibt es bei 'eXperience112' im Grunde nicht. Sollte doch etwas in der Spielwelt physikalisch bewegt oder benutzt werden, macht Lea das vollkommen automatisch, sofern man sie dort hin dirigiert hat und sie das Problem kennt, das mit dem Gegenstand gelöst werden soll. Was allerdings am Spieler hängen bleibt, ist das Knacken von Kennwörtern und das Lesen des überschaubaren, elektronischen Datenmaterials. Letzteres bietet viele hintergründige Informationen, einige Dokumente beinhalten dabei auch Sound- oder Video-Dateien. Dabei beginnt der Schwierigkeitsgrad äußerst schwach, indem die Kennwörter direkt genannt werden, wird dann aber immer kniffliger. Verschiedene Verschlüsselungsverfahren muss sich der Spieler durch Mitarbeiter-Dokumente selbst beibringen. Die sind zu Beginn vielleicht etwas konfus, sobald man das Prinzip aber verstanden hat, sollten sie im Grunde lösbar sein.
'eXperience112' ist eine echte Innovation!
Ja ja, das Wort „Innovation“ wird so häufig von Marketing-Abteilungen benutzt, dass man vergessen hat, wofür dieses Wort eigentlich steht. Es steht für einen Schritt in eine Richtung, die bislang niemand so richtig eingeschlagen hat, weil sie ein gewisses Risiko darstellt. Die französischen Entwickler haben diese Richtung mutig mit 'eXperience112' eingeschlagen und bieten eine Spiel-Erfahrung, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Durch die exzellente, deutsche Vertonung und den auszeichneten Animationen könnte man glatt glauben, man helfe da einer echten Person aus der Patsche. Aber hängen lassen kann man die junge Wissenschaftlerin ohnehin nicht, dafür sorgt die spannende Hintergrundgeschichte, die immer wieder in kleinen Filmsequenzen weitergesponnen wird. Die scheucht Lea Nichols nicht nur durch das gestrandete Schiff, sondern sendet sie auch auf eine Unterwasserreise in einer beengten Unterseekapsel, um zuletzt ... Nein, das müsst Ihr schon selbst herausfinden! Fazit: Mit passender Rechner-Performance ein Must-Have-Titel!
[ 19.03.2008 ]
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